Podcast: Veranstaltung zu antifaschistischen Strategien in Neukölln

Weil die Veranstaltung am 19. März im Wedding leider ausfallen musste, gibt es sie hier in Audio- und Textform.

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Warum machen wir die Veranstaltung hier eigentlich?
Seit mehreren Jahren beobachten wir Angriffe durch Neonazis in Berlin-Neukölln und reden in diesem Kontext vom Neukölln-Komplex.Ein Komplex, weil diese Angriffe eine lange zeitliche Kontinuität aufweisen und weil das Neonazimilieu in Neukölln sehr verwoben ist: Einmal in sich, mit engen Verbindungen zwischen Neonazikadern, Hertha-hooligans und der Neuköllner AfD. Und zum anderen gibt es eklatante Verwicklungen mit den Sicherheitsbehörden, die wiederum dazu führen dass es keine Ermittlungsergebnisse gibt. Da gibt es beispielsweise bei der Neuköllner AfD aktive Polizisten und zum anderen diesen LKA-Beamten einer Observationseinheit, der sich mit einem der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie in einer rechten Kneipe trifft. Und ganz nebenbei wurde so gut wie gar nichts wirklich aufgeklärt und es wurde auch niemand verhaftet oder verurteilt obwohl Verfassungsschutz und Berliner LKA damit befasst sind. Die Nazis machen einfach weiter, egal wie viele Sondereinheiten in Neukölln eingesetzt werden, wie wohlklingend verantwortliche Politiker*innen sich zu Wort melden oder wie präsent das Thema in der Presse ist.

Dennoch wird weiterhin von vielen Aktiven auf die juristische Aufarbeitung und Aufklärung durch staatliche Organe gesetzt. Das finden wir – gelinde gesagt, ziemlich fahrlässig und wollen heute darüber reden was es darüber hinaus gibt. Nicht falsch verstehen: Den Senat unter Druck setzen, dass sie die Polizei und Justiz dazu antreiben den Nazis einen Riegel vorzuschieben, finden wir nicht schlecht. Aber es ist halt eine ziemlich ohnmächtige Praxis immer nur Forderungen zu stellen, statt selbst aktiv zu werden.

Wir haben viel antifaschistische Arbeit in Neukölln gemacht und wollen unser Wissen gern verbreitern. Also unsere Analyse und Vorgehensweise erläutern sowie von Erfolgen und Misserfolgen berichten. Gleichzeitig – angesichts des Anschlags in Hanau – fragen wir uns, was aktuell angebracht wäre und wie eine antifaschistische Praxis heute konkret aussehen kann.

Das machen wir in drei Punkten:
– Erstmal sammeln wir die üblichen Reaktionen auf Neonazi-Attacken
– Dann wollen wir das in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang einordnen
– Und am Ende wollen wir Handlungsvorschläge geben. Das machen wir aus unserer Perspektive. Andere mögen andere Heransgehensweisen haben. Daran sind wir auch interessiert und fordern dazu auf sich mit uns zu vernetzen.
– Normalerweise diskutieren wir sowas bei Veranstaltungen. Das fällt heute leider weg. Hoffentlich nehmt ihr trotzdem was mit.

1) Wie waren die offiziellen Reaktionen auf rechte Angriffe in der Vergangenheit?

Wenn wir überlegen, wie Antifaarbeit aussehen kann und sollte, müssen wir uns angucken, wie zum einen wir und zum anderen gesellschaftlich in der Vergangenheit auf rechte Angriffe reagiert wurde. Auffällig ist dabei aus unserer Sicht, dass rechte Einstellungen als Motiv erst verspätet und sehr zaghaft benannt werden. So heißt es beispielsweise Schießerei statt rassistischer Terror oder Fremdenfeindlichkeit statt Rassismus. In Neukölln oder Hanau wurden ja keine „Fremden“ angegriffen, sondern Leute, die von der deutschen Dominanz-Gesellschaft rassistisch geframed werden. Wir nennen das Terror, weil es eine bestimmte Gruppe einfach wahllos trifft und damit alle anderen verunsichern soll. Terror hebt sich in der Dimension von politischer Gewalt, die ja zielgerichtet ist, ab. Das ist wichtig zu betonen, weil die Verhinderung von Terror und der Schutz der potentiell Betroffenen sehr viel schwieriger ist. Aber dazu später mehr.

Ein anderer Aspekt ist, dass den öffentlichen Reaktionen auf rechten Terror oft eine grundfalsche Analyse zugrunde liegt. Die Täter werden als Einzeltäter verklärt, als geistig krank und sozial isoliert. Fakt ist aber, dass solche Taten niemals im luftleeren Raum geschehen und die Täter in der Regel eng eingebunden sind in rechte (online) Netzwerke. Der Fokus auf Einzeltäter nimmt diese Netzwerke aus dem Blick, anstatt sie konsequent anzugehen. Das gleiche gilt für die den zustimmenden Background in Parteien wie der AfD. Keiner der Täter war nicht beeinflusst von dem was gesellschaftlich grad so abgeht. Deshalb finden wir die Parole „Die AfD hat mitgeschossen“ schon sehr treffend. Hinzu kommen auch noch die faktischen Tatsachen. Um andere abzuknallen oder regelmäßig Autos anzuzünden braucht es eine menge KnowHow, Priviliegien und Ressourcen. Sowas wird sich kollektiv angeeignet und weitergeben. Aus dem Stand ist niemand dazu in der Lage. Hinzu kommen patriachale Muster der politischen Auseiandersetzung und Gewaltausübung. Die meisten Täter sind männlich und wie sie vorgehen ist auch durch ihre Vorprägung durch patriachale Gesellschaft geprägt. Das wollten wir wenigstens mal erwähnen.

Kommen wir zu einem anderen Punkt: Die Betroffenen kommen sehr wenig und auch nur sehr selektiv zu Wort, beispielsweise auch im Anschluss von Hanau kamen Sinti, Roma und Kurd*innen kaum zu Wort. Der Diskurs im Anschluss der Tat – also warum das passiert, von wem, was dann zu tun ist usw. – wird weiterhin von der Dominanzgesellschaft geführt. Richtig verrückt wird es, wenn – wie Hanau – ein solcher rassistischer Angriff vor allem als Angriff auf die Dominanzgesellschaft bezeichnet wird. Ein Angriff „gegen uns alle“, so wie es der Bundespräsident gesagt hat, ist es einfach nicht. Dieses Gelaber verklärt die Zielrichtung der Taten und verschleiert dass die Opfer ausgesucht wurden, weil sie – auf vielen verschiedenen Ebenen – rassistisch degradiert werden.

Wichtig ist dabei auch, sich die Wirkungsweise solcher Taten als sogenannte Botschafts-Taten bewusst zu machen: Sie sollen Wirkung als Botschaft in zweierlei Hinsicht entfalten. Zum einen sollen die Opfergruppen eingeschüchtert und terrorisiert werden. Aus ihrer Gruppe kann es jede und jeden treffen. Nicht zufällig haben die Angehörigen der NSU-Opfer früher als Polizei und Dominanzgesellschaft die rechten Motive hinter den Morden erkannt und benannt. Während die Bullen noch ihren rassistischen Vorurteilen (Mafia usw.) nachgerannt sind, war es für die Betroffen klar woher der Wind weht.
Und genauso sind auch die NSU-Morde ein trauriges Beispiel für die andere Wirkrichtung des rechten Terrors: Nämlich nach innen in die rechte Szene selbst. Auch hier wurden die Morde, wurde das Wirken insbesondere von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sehr wohl wahrgenommen als das, was es war. Wir wissen mittlerweile aus den Untersuchungsausschüssen, dass es viele Helferinnen und Helfer gab, das sehr viele Leute Bescheid wussten, was da läuft und das vielfältig mitgetragen haben.

Aber auch allgemein ist es so: Medial erfahren rechte Anschläge meist ein schnelles Aufleben der Aufmerksamkeit. Alle schauen da drauf, bekunden Mitleid, fordern irgendwas. Und dann flaut das genauso schnell wieder ab. Allein die mühselige jahrelange lückenhafte juristische Aufarbeitung bleibt übrig. Statt ernstzunehmender Änderungen in der Gesellschaft werden allein die Sicherheitsbehörden groß inszeniert oder bekommen neue Befugnisse. Die rechten Anschläge werden wie es gerade passt für die eigene Politik, Bekanntheit und öffentliche Bekenntnisse genutzt. Der Selfie-Wahn mancher Politiker*innen ist wirklich abscheulich. Gleichzeitig sind sich viele Medien nicht zu fein, weiterhin rechten Parteien ein Podium zu bieten, wie beispielsweise Gauland im Nachgang des Anschlags in Hanau. Hier können diese sich wie gewohnt in eine Opferrolle begeben oder das Bild von geistig kranken Einzeltätern verbreiten.

Aber was macht die „Antifa“?
Tja, da fängt es schon an, bei der Definition. Antifaschistische Aktuere sind unterschiedlich in ihrem Handlungs- und Wirkungskreis. Manche betreiben Bildungsarbeit, Recherche, organisieren Proteste, dokumentieren, machen Info-Veranstaltungen, halten Gedenken ab und leisten viel Aufbauarbeit für neue Gruppen oder sorgen für Vernetzung untereinander. Der Strauß an Aktivitäten ist sehr groß.
Wir als Autonome Antifa-Gruppe sind unabhängig von Parteien und NGOs organisiert, eher in Kleingruppen, die miteinander im Austausch stehen, Bündnisse eigehen und mehr oder weniger öffentlich ansprechbar sind. Von Antifa-Gruppen werden im Nachgang von rechtem Terror immer ähnliche Aktionsformen benutzt: Es wird versucht eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, um die Dominanzgesellschaft als Nährboden für rassistische Taten klar zu bennen und nicht aus der Verantwortung zu lassen. Dafür werden kluge Texte in antifaschistische Fachzeitschriften oder auf Indymedia geschrieben, es werden Demos und Mahnwachen organisiert. Die Angehörigen und Aufklärungs-/Hilfsinitiativen werden unterstützt, wenn denn der Kontakt herstellbar ist. Und es wurden gerade auch in letzter Zeit schon frühzeitig Verbindungen der Täter zu anderen Nazis aufgezeigt. Das basiert dann auf Recherchen, die Antifagruppen als Schwarm unaufhörlich zusammentragen. Ziel ist es, den Einzeltäterschwafeleien frühzeitig den Boden unter den Füßen wegzuziehen, aber auch um dann handlungsfähig zu sein. Klar, gehts dann auch um Botschaften in die rechte Szene hinein. Nach Hanau hat es zum Beispiel eine Fülle an direkten Aktionen gegen Neonazis gegeben, die signalisieren sollten: Solche Taten nehmen wir nicht hin. Auch wenn ihr nicht die Täter wart, so machen wir euch trotzdem für das verantwortlich. Und um sowas dann spontan aufzuziehn, braucht es eben das Wissen, wer gerade aktiver Neonazi ist.

Einen Einschub zu Recheche müssen wir hier mal machen: Das ist eine mühsehlige Arbeit, die nach der NSU-Sache nochmal einen anderen Drive bekommen hat. Erstmal haben wir als Antifas eine Art Ermittlungsgrundsatz. Wenn wir von Neonazis Wind bekommen, dann haben wir die Pflicht, dahinterher zu recherchieren. Online, wie auch offline. Mit allen Mitteln, die wir haben und darüber hinaus. Da machen wir keinen Unterschied, ob das parteiförmig organisierte Leute sind, oder Neonazis, die sich anderweitig gebärden. Neben dieser Subjektzentrierung, die die Grundlage für Aktionen ist, gehört zum Ermittlungsgrundsatz auch, dass eigentlich bei allen Taten, die theoretisch rechts motiviert sein könnten, dem auch nachgegangen werden muss, auch wenn die Bullen irgendwas anderes behaupten.

Wichtig finden wir aber auch zu betonen, dass die Arbeit von Antifas eigentlich an anderer Stelle ansetzt. Denn prinzipiell ist das Ziel ja, dass solche Anschläge gar nicht erst stattfinden oder Serien, wie die in Neukölln, enden.
Leider ist das aktuell ja nicht wirklich erfolgreich. Die Morde gehen weiter, egal ob so ein CDU-Typ wie Lübcke umgebracht wird, oder nach dem Anschlag in Halle und wahrscheinlich ist auch nach Hanau nicht Schluss mit solchen Taten. Die rechte Bewegung wächst, es findet eine massive Struktur- und Aufbauarbeit statt. Häuser werden gekauft, Stiftungen gegründet, wahnsinnig viele Ressourcen mobilisiert, um im Internet dominant aufzutreten usw. Wie setzen wir dem etwas entgegen?
Da lohnt ein Schritt zurück und ein Blick in die Vergangenheit. Denn Strategiediskussionen gab es in der linken Szene und speziell der Antifa schon viele. Das folgende kommt nicht nur von uns, sondern haben wir aus Strategiedebatten, die zum Beispiel im Antifa Infoblatt geführt wurden, zusammengetragen.

Worüber wird denn eigentlich so diskutiert unter dem Stichwort „Antifa“?
Für uns ist antifaschistische Arbeit Bestandteil einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung. Dabei sind die Kämpfe, die wir führen zwar eine Art Abwehrkampf, aber es geht um mehr als nur gegen Nazis zu sein, sondern um eine andere Kultur, andere Gesellschaftsvorstellungen und in diesem Kontext ist es nunmal leider verdammt wichtig, gegen regressive, autoritäre und faschistische Bewegungen anzugehen. Dieser Satz ist z.B. aus dem Jahr 2000. Also 20 Jahre her.

Das heißt im Kontext auch von Terrorserien wie in Neukölln oder einem Anschlag wie in Hanau, dass wir immer einen gesamtgesellschaftlichen Fokus haben – und dass es uns um gesellschaftliche Räume geht. Diskursräume, Resonanzräume und Ermöglichungsräume. Diese wollen wir den Nazis ganz konkret nehmen. In den 90er Jahren gab es deshalb antifaschistisches S-Bahnfahren, sogenannte Kiez-Milizen, die auf der Straße präsent waren oder die Kampagne „Antifa heißt Busfahren“ beispielsweise, um Heß-Gedenken zu verhindern. Heute sprechen wir über Kampagnen wie „Kein Raum der AfD“ oder Filterblasen im Netz, die wir zum Platzen bringen wollen. Insgesamt geht es darum, rechte Hegemonien zu brechen. Im Großen wie im Kleinen. Und dabei nehmen wir jede Vernetzung und Struktur ernst und nicht so wie die „Sicherheitsbehörden“ erst, wenn konkreteste Anschlagspläne stehen. Soviel zur Prioritätensetzung der Antifa, die zwar die einzelnen Neonazis im Blick hat, aber eben von der Struktur aus und dem politischen Wirkungsradius der jeweiligen Gruppe denkt.

Wichtig ist dabei auch, dass wir Antifas immer flexibel sind und bereit sind, schnell zu handeln. Ich denke, diese Handlungsfähigkeit zeichnet uns besonders aus. Sie ist aber auch gerade auf unserem Politikfeld, das von Ernüchterungen nur so durchzogen ist, besonders wichtig. Dabei ist die oben schon erwähnte Vorstellung einer möglichen besseren Welt handlungsleitend, denn falls diese Aussicht fehlt, kann dies zur Hinnahme des Bestehenden und zu Resignation führen. Eine inhaltliche Verbürgerlichung autonomer Bewegungen, die allenfalls durch militante Aktionsformen kaschiert werden kann, ist die Folge. Dementsprechend steht am Ende unserer Analyse stets die konkrete Aktion. Uns geht es nicht nur um Parolen, sondern wirkliche Konzepte, die wir authentisch und öffentlich auch vertreten. Das klingt jetzt ein bisschen abstrakt, wird aber später klarer.

Gesamtgesellschaftlicher Zusammenhang Antifa & Antira
Aktuell, aber auch in der Vergangenheit, wird häufig ein Nebeneinander statt eines Miteinanders von Antifaschismus und Antirassismus diskutiert. Dass es teilweise wenige bewusste Überschneidungen gibt, dafür aber identitäre Abgrenzungsbedürfnisse sowie grobe Fehler in der politischen Artikulation. Es gibt einen Konsens, dass man gegen Faschismus und Rassismus ist, aber nichts wofür man gemeinsam steht. Dabei ist es doch so, dass die Naziterror-Wellen in der jüngeren Zeit eigentlich immer rassistischen Terror und Pogrome bedeuten, sowie immer im Kontext mit gesellschaftlichen rassistischen Umbrüchen stehen, die einen wichtiger Nährboden dafür bieten. Der CDU Mann Lübcke wurde ja nur umgebracht, weil er sich in seiner Kommune für Flüchtlinge und gegen Rassismus eingesetzt hat und nicht, weil er Repräsentant der CDU war.

Ja, auch in einer Langzeitbetrachtung kommt das zum Vorschein: Das getrennte Vorgehen von Antifa und Antira begann eigentlich schon nach dem Anschlag in Hoyerswerder. Zudem gibt es immer wieder den Vorwurf von Antira an Antifa, Rassismus zu instrumentalisieren in dem Sinne, dass Migrant*innen für deutsche Linke vor allem als Tote interessant sind und vorher nicht als politische Akteure oder Ansprechpartner*innen gesehen werden. Das ist natürlich fatal. Und insbesondere im Hinblick auf den NSU müssen wir uns dafür gewaltig schämen. Ich würde aber sagen, dass wir durch solche Projekte wie das NSU-Tribunal gelernt haben und in letzter Zeit vermehrt positives Zusammenwirken stattfindet, wie zum Beispiel mit Welcome United, was wohl die größte Mobilisierung von migrantischen Selbstorganisierungen in Verbindung mit der Antifabewegung der letzten Jahre war und viel losgetreten hat, was den Umgang miteinander angeht. Eine wichtige Frage ist dabei, wer eigentlich Adressat unserer antifaschistischen und antirassistischen Politik ist. Werden Forderungen und Appelle an die Mehrheitsgesellschaft gestellt, oder wird eben versucht die Selbtorganisierung der Betroffenen zu stärken und eine vielstimmige Gegenbewegung zur dominanten rassistischen Gesellschaft und deren Vertreter*innen in Politik und Verwaltung aufgebaut. Für wen und mit wem machen wir Politik und was bleiben für Strukturen und Verbindungen langfristig übrig?

Beispielsweise in einem Beitrag mit 20 Thesen einen Monat nach Haunau, wie es weiter gehen muss, wird von migrantischer Seite auch kritisiert, dass die antifaschistische Bewegung zu aktionsbeschränkt und lokal agiert. Die allzuoft diskutierte Krise der antifaschisischen Bewegung hat ihnen zufolge zwei Ebenen. Zum einen wird Antifas ein beschränktes theoretisches Verständnis über die Grundlagen von Faschismus und Rassismus vorgeworfen. Zum anderen eine organisatorische Krise definiert: Dass die Masse fehlt sowie eine fehlende Strategie.
Wir haben auch viel über „unteilbar“ diskutiert. Das waren schon fette Demos, aber „Wir sind mehr als die“ als Bekenntnis reicht nicht aus. Darüber lachen die Nazis, denn sie haben – im Unterschied zu uns – eine Strategie und machen einen Schritt nach dem anderen. Wir reagieren nur und das oft planlos. „Unteilbar“ ist ein gutes Motto, aber auch ein Wunschtraum. Die Gesellschaft ist total durchfurcht. Das ist alles total geteilt und gespalten. Solche Events wirken wie eine moralische Reinwaschung und keine langfristige Strategie.
In einem migrantischem Aufruf zum 8. Mai steht „Stören wir den Alltag. Wir müssen über das Gewöhnliche hinausgehen“. Gemeint ist, dass wir aufhören sollen unsere Veranstaltungen in geschlossenen Räumen durchzuführen. Das dient alles nur unserer Selbstvergewisserung, aber erzeugt keinen Druck auf die Domnanzgesellschaft. Deshalb gibt es jetzt den Aufruf zum Streik. Am 8. Mai. werden wir sehen, was daraus wird.

Für mich stellt sich zudem ein wenig eine Generationenfrage: Autonome Antifas waren früher selbst von Nazis bedroht und sind steil gegangen. Antifas heute sind klimapolitisch unterwegs, intersektional und Queer. Der Politikstil ist ein anderer. Viel mehr auf Öffentlichkeit ausgelegt, weniger auf Intervention. Das merken wir dann auf der Straße. Da ist viel verloren gegangen an militantem Wissen und viel dazu gekommen, was symbolisch und pressetechnisch mehr bringt. Es gibt antifaschistische Facebook-Gruppen die 30.000 Mitglieder haben. Sowas hat es früher nicht gegeben. Wären die alle noch offline organisiert, wäre schon mehr drin.

Dringend ist, dass die Antifa den Zusammenhang zwischen staatlichem institutionellem Rassismus, gesellschaftlichem Rassismus und rassistischer Gewalt mehr problematisieren muss. Es braucht nicht nur klassische Antifa-Recherche, sondern auch Rassismusanalysen und antirassistische Handlungskonzepte sowie konsequentes Vorgehen gegen staatlichen Rassismus. Dazu gehört konkrete Zusammenarbeit mit den Betroffenen auf Augenhöhe. Runterbegrochen bedeutet das: eine antifaschistische Bewegung braucht eine antirassistische Praxis.
Vermehrt taucht jetzt das Wort „Migrantifa“ auf. Was ist darunter eigentlich zu verstehen? Ich dachte erst, dass das einfach Antifa ist, die auch migrantische Blickwinkel beinhaltet. Also konkret sowas was in Neukölln mit den Shisha-Bars passiert. Die Kampage der Bullen und der Politik ist ja klar rassistisch motiviert. Dagegen vorzugehen wäre zum Beispiel Migrantifa. Aber es geht um mehr: Eher um das Zusammendenken von Antifaschismus und Migration. Also z.B. auch darum Antworten auf das europäische Grenzregime zu finden und auf institutionellen Rassismus in den Behörden zu reagieren oder gemeinsam um Gleichberechtigung zu kämpfen.

Diese Awareness für unterschiedliche Perspektiven und auch die verstärkte Zusammenarbeit können dazu beitragen, aus antirassistischer Ohnmacht rauszuhelfen, indem beispielsweise antifaschistische Handlungsmöglichkeiten angewandt werden. Das eingespielte Namen nennen, Netzwerke aufdecken, gesellschafltich bloßstellen und angreifen kann nicht nur auf Nazis aungewandt werden.

Allerdings werden antifaschistische Aktionsformen, die es mit dem Strafrecht nicht so genau nehmen, gesellschaftlich oft diskreditiert. So schließt sich der Kreis. Es gibt weiterhin einen Spagat zwischen konkreter Hilfeleistung (z.B. an den Grenzen oder bei Outings von Nazis) und der gesellschaftspolitischen Ebene (solche Aktionsformen massenhaft zu propagieren oder gutzuheißen). Dazu wünschen wir uns auch mal positive Bekenntnisse. Nicht nur gegen Rassismus zu sein, sondern auch das gut zu finden was Leute dagegen unternehmen. „Danke Antifa“ sollte Alltagskultur werden.

Aktuell gibt es ja eher vorauseilende Distanzierungen von direkten Aktionen bzw. „robustem Antifaschismus“ durch die in Bedrängnis geratene von staatlichen Fördermitteln „abhängigen“ Zivilgesellschaft. Dies ist auch noch gepaart mit einer gewissen Hilflosigkeit großer Organisationen wie der Linkspartei oder der Gewerkschaften, auf große rassistische Mobilisierungen zu reagieren.
Zur ernstgemeinten antifaschistischen Arbeitsteilung würde auch ein gegenseitiger Resonanzraum, sowie die Öffnung von Räumen und Bereithalten von kritischen Ressourcen gehören. Dies funktioniert bei den Rechten erstaunlich gut, wie man an der AfD, an militanten Neonazis, an der „Neuen Rechten“ und rechten Verlagen ablesen kann. Das gibt es bei Antifa und Antira nicht – weder inhaltlich noch zwischen den verschiedenen Institutionen, die sich professionell, ehrenamtlich, autonom oder whatever organisieren.

In der aktuellen „Analyse und Kritik“ steht dazu, dass es für solche Zusammenarbeit grad keine Plattform, keine gemeinsame Sprache und tatsächliche persönliche Beziehungen gibt. Das können wir nur aufbauen, wenn wir zusammen kommen und lernen, die unterschiedlichen Zugänge zum Thema rassistische Bedrohungen und Antifa zu verstehen und die eigenen Ansichten und Perspektiven zu hinterfragen. Das bedeutet für uns als Antifas, dass wir in Vernetzungsarbeit viel mehr Ressourcen stecken müssen als es bisher geschieht. Wir dürfen nicht nur in unserem Saft schmoren und die kleine aber feine antifaschistische Bewegung aufbauen, sondern müssen bei allem anderen auch mitmachen und uns mit unseren Aktionsformen einbringen.

Konkreter Handlungsvorschlag
Okay, genug der Abstraktion und Analyse. Was heißt das nun konkret alles? Und welche Schlüsse ziehen wir daraus für unsere Arbeit? Das wollten wir eigentlich im Rahmen einer Gruppendiskussion gemeinsam überlegen. Stattdessen werden wir nun aber wieder am Beispiel Neukölln verdeutlichen, was unsere eigenen Handlungsansätze sind. Dabei ist klar, dass auch in Neukölln weiterhin eine akute Bedrohung besteht. Gerade in Südneukölln gibt es eine Menge rechter Orte und recht wenig antifaschistische Gegenwehr. Hier ist Angriff die beste Verteidigung. Dabei braucht es – wie leider immer im linksradikalen Kontext – einen extrem langen Atem und wichtige Verbündete. Sehr dankbar sind wir hingegen für die Arbeit beispielsweise von der Burak-Ini, einer Initiative, die seit vielen Jahren fordert, dass der Mord an Burak Bektaş endlich aufgeklärt wird. Oder die Initiative „Basta!“, die jede Woche vor dem LKA protestieren um darauf aufmerksam zu machen wie wenig eigentlich aufgeklärt ist in der Neuköllner Anschlagsserie.

Wie lassen sich Anschläge verhindern? Das fragen wir uns auch regelmäßig. Erstmal müsste es antifaschistische Nachbarschaftstreffen zur Frage geben, wie der Schutz gegen Angriffe aussehen könnte. Als es vor einigen Jahren eine Reihe von Brandanschlägen gegen linke Hausprojekte in Berlin gab, haben wir bei den Treffen vor allem darüber gesprochen, was es für technische Lösungen gibt, weil „Wache schieben“ sich niemand vorstellen konnte. Also Fenster vergittern, Müll sichern, Brennbares weg vom Haus, Bewegungsmelder und solche Sachen. Das war eine wichtige Diskussion, aber auch meilenweit von Selbstschutzkonzepten der 90iger Jahre entfernt. 1993 beispielsweise forderten migrantische Organisationen provokativ „Waffenscheine für Migranten als Selbstschutzmaßnahme“. Vor einigen Jahren stellte die migrantische Gruppe „Cafe Morgenland“ bei einer Veranstaltung im k*fetisch die Forderung nach Evakuierung von Neonazis aus Neukölln auf. Also nicht das Problem auf die Angegriffenen abzuwälzen, sondern ganz klar sagen wer hier den sozialen Frieden stört. Das ist die AfD, das sind die Nazis. Die werden eingesackt und bekommen Residenzpflicht irgendwo, wo sie weniger Schaden anrichten können. Das sind mal Forderungen, die über das Gewöhnliche hinausgehen und die Dominanzgeselschaft mit ungewöhnlichen Ansprüch konfrontieren. Auch heute wird noch antifaschistischer Selbstschutz aus migrantischer Sicht diskutiert und zwar als migrantischer Selbstschutz und wichtiger Bestandteil der Gegenstrategie. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass im Gegensatz zu den Faschisten die Migrant*innen als vorrangiges Ziel „unbewaffnet“ sind. Kollektive Mechanismen für den Schutz von Migrant*innen MÜSSEN daher aufgebaut und ein entsprechendes Bewusstsein geschaffen werden.

Sowas versuchen wir zu unterstützen mit dem, was wir gut können. Gegen die rechte Bedrohung vorgehen durch Recherchen über Nazis und ihre Verbündeten. Licht ins Dunkel des Neukölln-Komplexes bringen, darüber informieren durch Veranstaltungen und die Leute befähigen, selbst aktiv zu werden. Nazis sollen sich in Neukölln nicht mehr wohl und sicher fühlen, sie sollen nicht mehr die Möglichkeiten haben, ungestört Anschläge zu begehen. Da geht es konkret um Ressourcen, die sie dafür brauchen. Es geht darum, sie handlungsunfähig zu machen. Da gibts viele Möglichkeiten. Dafür ist es auch essentiell, nicht nur die antifaschistische Bewegung darüber zu informieren, was in Neukölln abgeht, sondern vor allem die Nachbarschaften, die ja auch direkt betroffen sind oder betroffen sein könnten. Zeugen*innenaufrufe, Outings und solche direkten Ansprachen der Wachsamkeit sind die üblichen Mittel.
Und es ist wichtig, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, durch Kundgebungen, Demos usw. Besonders wichtig ist uns dabei, mit den Betroffenen zusammenzuarbeiten und die Opfergruppen zu unterstützen und ihnen eine Plattform zu geben. Beispielsweise heißt das: Keine Veranstaltung ohne Burak-Ini oder ohne die Ini „Kein Generalverdacht“.

Ziel ist es, das Bedrohungsgefühl der Einzelnen durch solidarisches Handeln zu überwinden. Auch insofern stellen Anlaufstellen, Veranstaltungen und Informationen ein wichtiges Mittel dar. Es geht uns also nicht um einen einzelnen Kampf, sondern eine Kombination von vielfältigen Konzepten. Und natürlich langfristig darum, eigene Strukturen aufzubauen. Das mag jetzt alles nicht sehr konkret klingen, aber es sind Handlungsmöglichkeiten, um einerseist der eigenen Ohnmacht zu begegnen und andererseits auf die Analyse auch eine angepasste Strategie zu haben. Ebendies ist auch eine der Konsequenzen, die die Autor*innen der bereits erwähnten 20 Thesen ziehen: „Angst und Hilfslosigkeit als eine Reaktion unter Migrant*innen (vor allem nach Massakern wie in Hanau) sind verständlich. Diese Gefühle ernähren sich vor allem von Unorganisiertheit. Wenn die antifaschistische und migrantische Bewegung aus der passiven Position ausbrechen will, muss sie ihre und die kollektive Unorganisiertheit überwinden. Nur bewusste und gezielte Aktion kann Passivität zerschlagen.

Als Gruppe zu agieren, ist keine Selbstverständlickeit. Viele Aktivist*innen sind vereinzelt – zwar vernetzt und mobilisierbar – aber eben als Einzelpersonen unterwegs. Die autonomen Kleingruppen können nur deshalb geschlossen agieren, weil sie wirklich sehr viel zusammen hocken und auch viel persönlichen Alltag teilen. Das schweißt zusammen und du kannst ganz anders agieren. Deshalb unser Appell: Tut euch zusammen. Allein machen sie dich ein und ihr könnt nur wenig bewirken.

Neuigkeiten zum Neukölln-Komplex gibt es auf der Interseite des Bündnis Neukölln und auf der Seite neukoelln.blogsport.de

Schreibt uns gern Feedback zu der Veranstaltung an neukoelln@systemli.org

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