Antifaschismus und Solidarität im Kiez
Brandanschläge in Neukölln, der Einzug der AfD in die Abgeordnetenhäuser in Berlin, weitere Verschärfungen des Asylgesetzes usw.: Alles fiese Beispiele dafür, wie rechte Hetze und rassistische Radikalisierungen in den Alltag eingreifen. Ätzend ist aber auch, dass es beim Späti um die Ecke nicht nur Sterni, sondern auch rechte Zeitungen wie die „Compact“ oder die „Junge Freiheit“ gibt. Auch wenn diese Zeitungen vergleichsweise geringe Auflagen haben, werden hier rechtsradikale Themen und Diskurse aufgestellt und zugespitzt, rechte Aktionen verbreitet und zu rechter Gewalt angestachelt.
Wer verkauft diese Zeitungen in Neukölln und warum? Um das herauszufinden, um Verkäufer*innen davon zu überzeugen, rechte Hetze nicht mehr zu verbreiten und um zu erreichen, dass Betreiber*innen sich solidarisieren, haben wir im Rahmen der antifaschistischen Aktionswoche eine Kiosktour durch Nord-Neukölln gemacht.
Zeitungsläden und Kioske sind wichtige Orte der Nachbar*innenschaft Hier treffen sich Menschen, Erzählungen und Informationen. Für uns als Stadtteilgruppe und als Leute, die im Kiez wohnen, ist es wichtig zu wissen, welche Läden cool sind, wer solidarisch ist oder wichtige Informationen für den Alltag hat. Der Kontakt zu den Betreiber*innen ist auch eine Möglichkeit, die eigene politische Arbeit vorzustellen und über die Läden in die Nachbar*innenschaft zu tragen. Viele Spätis werden von Menschen betrieben, die selbst Zielscheibe von rechten Angriffen und Beleidigungen sind. Wir wollen Solidarität einfordern, aber auch solidarisch mit denen sein, die von rechter Hetze direkt betroffen sind. Andersherum wollen wir auch wissen, wo die Naziläden liegen, wer explizit unsolidarisch ist und mit wem wir nicht zusammenarbeiten wollen. Für uns ist die Kiosktour eine Aktion sowohl gegen rechte Hetze als auch für eine solidarische Organisierung im Alltag unserer Nachbar*innenschaft.
Die Vorbereitung
Bevor wir die Tour gestartet haben, haben wir uns in einem Workshop argumentativ vorbereitet, gute Antworten auf verschiedene Einwände gesammelt und Szenarien durchgespielt. Das gibt nicht nur Sicherheit, sondern ist wichtig, um auch auf die unterschiedlichen rechten Positionen schnell und angebracht reagieren zu können. Während Compact eindeutige völkische und verschwörungstheoretische Positionen vertritt, fällt die Junge Freiheit vor allem durch neoliberal-rechte Themen auf. Die Nationalzeitung wiederum ist eindeutig neonazistisch. Alles Nazis, aber keine Einheit.
Wir hatten vier Routen rausgesucht und insgesamt 17 Läden im Vorfeld ausgemacht, die die Ekelblätter verkaufen. Info-Quellen waren sowohl eigene Vor-Ort-Besuche im Vorfeld als auch der Internetdienst mykiosk.com. Bei mykiosk.com lässt sich das “gewünschte” Magazin eingeben und auf einer Karte anzeigen, wo dieses überall verkauft wird.
Ein guter Termin für eine Kiosktour ist der dritte Freitag im Monat: Freitags erscheint die Junge Freiheit, ungefähr Mitte des Monats erscheint die Compact. D.h. diese beiden Blätter sind meist am dritten Freitag noch nicht ausverkauft und man kann anhand der aktuellen Ausgabe argumentieren bzw. den Betreiber*innen das Exemplar zeigen, um das es geht.
In der Vorbereitung haben wir uns auf die Strategie geeinigt, nicht aggressiv aufzutreten, erstmal zu informieren über Compact, JF und Co, aber offensiv zu versuchen, die Betreiber*innen zu überzeugen, die rechten Zeitungen nicht mehr zu verkaufen. Wir wollten auf die Gefährlichkeit der rechten Blätter insistieren statt uns auf “Meinungsfreiheit”-Debatten einzulassen. Außerdem wollten wir den Kontext der Nachbar*innenschaft klarmachen: Hier sollen sich Rechte nicht wohl und “ganz normal” fühlen. Solange Rechte eine unmittelbare Gefahr für die meisten Bewohner*innen Neuköllns darstellen, gibt es kein Grund, deren „Meinung“ zu tolerieren. Für Spätibetreiber*innen, die das ähnlich sehen, hatten wir mit “Kein Ort für Nazis”-Wimpeln ein sichtbares Zeichen gegen rechts dabei, das in den Läden aufgehängt werden kann.
Die Tour
Mit knapp 20 Leuten in 4 Teams sind wir am 17. März für 1,5 Stunden durch Nordneuköllner Kiosks, Zeitschriftenläden, Supermärkte und Spätis gezogen. Vorweg schonmal: Es war super! Aber Augen auf bei weiß-deutschen Lottoläden…
Erste Überraschung: Viele der gelisteten Verkaufsstellen verkaufen de facto keine rechten Zeitungen. Auf Nachfrage sagten die Betreiber*innen auch klipp und klar, dass sie die Hefte regelmäßig zurückschicken, ohne sie in die Auslage zu stellen. Obwohl sie die Zeitungen regelmäßig abbestellen, berichteten mehrere, dass die Grossist*innen sie ihnen immer wieder schicken. Aber niemand ist verpflichtet, den Scheiß ins Regal zu räumen.
Nicht alle Betreiber*innen grenzten sich so klar von rechten Positionen ab. Alle Teams wurden auch mit einzelnen Betreiber*innen konfrontiert, die mit Meinungsfreiheit, Extremismustheorie oder chauvinistischen Positionen argumentierten – zum Beispiel in deutschen Lottoläden.
Dennoch waren wir überrascht, wie viele Ladenbesitzer*innen einen klaren Standpunkt gegenüber rechten Zeitungen und Zeitschriften haben. Die Frage war eher, was gilt genau als rechts und was ist nur “normal rassistisch”? Und was ist mit den nicht-deutschsprachigen rechten und nationalistischen Zeitungen, die wir erstmal ausgelassen haben? Manche wussten auch einfach nicht genau, was sie da verkaufen, und ließen sich sofort überzeugen, weil sie keine rechten Blätter in ihrem Laden wollen. Einige beförderten die ausgelegten Exemplare nach erhaltener Info direkt mal dorthin, wo sie hingehören: In den Müll.
Die Tour war außerdem ein guter Anlass, um über aktuelle rechte Aktivitäten im Kiez zu informieren und Informationen zu Angriffen auf migrantisch geführte Spätis und Läden von Nazis zu bekommen. Auch konnten wir abstecken, wer unsere Allies sind und beispielsweise Flyer der #hayir-Kampagne gegen das Präsidialsystem in der Türkei auslegen.
Aus jedem Team werden Leute nochmal zu den Läden gehen, wo wir nicht die Besitzer*innen angetroffen haben, sondern nur Verkäufer*innen oder wo sich die Betreiber*innen überlegen wollten, die Zeitungen nicht mehr zu verkaufen. Bei einigen Läden waren wir schon ein zweites Mal — und siehe da: Die Rotzblätter sind aus der Auslage verschwunden.
Weitere schöne Momente der Tour: Einige Spätis haben gleich „Kein Ort für Nazis“-Wimpel aufgehangen, Aufkleber an die Tür geklebt oder uns Getränke ausgegeben. Zudem haben wir Kiosks, die offenbar bewusst keine rechten Zeitungen verkaufen, darauf angesprochen und ihre Entscheidung gefeiert — worüber sie sich natürlich gefreut haben.
Was bleibt?
Die Erlebnisse in den Läden haben gezeigt, dass der Argumentationsspielraum oft nicht allzu groß ist. Betreiber*innen, die ihr Angebot als Teil einer Meinungsvielfalt sehen, oder rinks mit lechts verwechseln, ändern nicht einfach mal so ihre Grundeinstellungen, wenn wir für 15 Minuten vorbeischauen. Genauso sind rechte Betreiber*innen natürlich nur schwer davon zu überzeugen, dass genau die Zeitungen, die ihrer politischen Einstellung entsprechen, ein Problem sein sollten. Aber viele Betreiber*innen wissen gar nicht, welche Zeitungen und Zeitschriften rechte Hetze verbreiten. Wichtig war, hier zu informieren. Ob sich Halb-überzeugte/Unentschiedene auf unsere Seite schlagen, wird sich erst zeigen, wenn wir hartnäckig bleiben und wiederkommen.
Solidarische Organisierung lässt sich nicht auf einen Nachmittag beschränken. Wir müssen uns regelmäßig da einmischen, wo wir eh sind und wo der Schuh am meisten drückt: in unserem Alltag!
Wie sieht‘s bei euch aus?
Für uns war die Kiosktour gegen rechte Zeitungen und Zeitschriften eine super Erfahrung und eine Aktion, die wir nur wärmstens empfehlen können.
Falls ihr auch eine Tour machen möchtet oder dazu Unterstützung wollt, schreibt uns gerne. Verwendet gerne auch den Flyer, den wir in den Spätis verteilt haben.
Wir sehen uns im Alltag:
Solidarische Aktion Neukölln
Wir sind eine nagelneue Gruppe, daher haben wir noch keine Homepage oder ähnliches. Schreibt uns aber gern auf solidarische-aktion@riseup.net
Flyer zur Kieztour zum Download hier