10 Punkte für antifaschistische Courage

Mindeststandards zum Umgang mit Militanz

Immer wieder kommt es im Nachgang von offensiven antifaschistischen Aktionen gegen Neonazis zu eiligen Distanzierungen durch sich als „antifaschistisch“ bezeichnende Ak­teur*innen. Ziel dieser Distanzierungen ist ein vermeintliches Ausweichen und Abwehren von gegen die Akteur*innen gerichteten Kampagnen und Shitstorms. Gleichzeitig herrscht die (wahrscheinlich nicht unberechtigte) Angst, dass staatliches Wohlwollen und Förde­rungen künftig ausbleiben könnten, wenn nicht vorauseilend Distanz oder sogar Abscheu proklamiert wird. Der Rechtsruck nimmt aber nicht durch Ducken ab – vielmehr ist jede Di­stanzierung ein Zeichen dieses Prozesses und unnötige Selbstbeschränkung im Kampf gegen Rechts. Sie tragen gerade nicht zur Legitimierung der Akteur*innen selbst bei, son­dern vertiefen eher das Misstrauen in deren Handlungsfähigkeit und beschädigen das Verhältnis zur eigenen Basis.
Es besteht in der Öffentlichkeit die Erwartungshaltung, dass jemand etwas gegen den Rechtsruck tun sollte, denn Neonazis findet niemand gut. Aber sobald sich die konkrete Frage „Wer und Wie?“ stellt, scheint vieles von den öffentlichen Stimmungsschwankungen abzuhängen. So werden einerseits Bundesverdienstkreuze an Klarsfeld und Bejerano ver­geben, andererseits erleben wir öffentliche Outings und Stigmatisierungen von Antifa­schist*innen, die den Aufrufen folge leisten und sich Neonazis aktiv widersetzen.
Deshalb fordern wir einen grundsätzlichen solidarischen Umgang im Kampf gegen Rechts – auch mit Menschen, die sich dabei exponieren und Betroffene staatlicher Repression werden. Dabei richten wir uns insbesondere an Akteur*innen wie Stiftungen, Bildungsträ­ger und sich als kritisch verstehende Medien.

1. Keine vorauseilende Entsolidarisierung
Wir fordern, sich nicht voreilig und um erwartetem Druck von Rechts zu entgehen, von an­tifaschistisch Aktiven zu distanzieren. Bevor die Sachlage geklärt ist, ist jegliche Distanzie­rung unnötig und kontraproduktiv. Vielmehr heißt es Ruhe bewahren und prinzipiell solida­risch sein.

2. Die rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht relativieren
In einem Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung. Gerade von bürgerlichen Akteur*innen erwarten wir, zumindest diesen Standard als gesetzt zu betrachten und Personen nicht vorzuverurteilen oder ihre Persönlichkeitsrechte durch umfassende Weitergabe von Infor­mationen zu ihrem Arbeits- oder Privatleben zu verletzen.

3. Linke und rechte Militanz sind nicht das Gleiche
Während rechte Gewalt und Terror als Mittel der Unterdrückung dienen, richtet sich linke Militanz genau gegen diese Unterdrückung. Sie stellt sich als Gegenmacht zur realen Be­drohung von Rechts dar. Denn leider ist es noch ein weiter Weg bis zur befreiten Gesell­schaft und bis dahin, sehen es viele Linke als ihre Aufgabe, die Handlungsfreiheit von Neonazis einzuschränken. Durch aktiven Widerstand wird deutlich gemacht, dass eindeu­tiger Widerspruch zu ihren Auffassungen besteht. Dazu gehört es ihnen ihre Strukturen und Ressourcen zu nehmen, das persönliche Sicherheitsgefühl zu untergraben, um sie politikunfähig zu machen.

4. Widerstand gegen Neonazis ist vielfältig

Lange Zeit herrschte die Einsicht, dass der Kampf gegen Rechts sich vielfältiger Formen bedient, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Über die jeweilige strategische Eig­nung kann gestritten werden, ohne Aktionen den antifaschistischen Gehalt abzusprechen. Ein gemeinsamer Kampf fordert gegenseitige Akzeptanz.

5. Solidarischer Umgang im Kampf gegen Rechts
Solidarität bedeutet aktuell: Eine wohlwollende Prüfung der Fakten und Befragung der Be­troffenen bevor öffentlich Stellung genommen wird. Dazu gehört die Fähigkeiten differen­zierte Kritik (statt pauschaler Distanzierungen) abgeben und entgegennehmen zu können, ohne den gemeinsamen Kampf ständig in Frage zu stellen.

6. Grundsätzliche Skepsis gegenüber polizeilichem Handeln

Der NSU-Komplex hat aufgedeckt, dass die (vermeintliche) Paranoia vor rechtem Terror Wirklichkeit ist. Die offensichtliche Verstrickung staatlicher Institutionen in den rechten Ter­ror, hat weder zu einem Umbau der Sicherheitsorgane noch zur politischen Einsicht ge­führt, verstärkt Ermittlungen in der rechten Mitte und am rechten Rand anzustellen. Gera­de angesichts der fehlenden Lehren aus dem NSU-Komplex ist eine grundlegende Skep­sis gegenüber polizeilichem Handeln erforderlich.

7. Grundsätzliche Kritik an Geheimdiensten
Geheimdienste als Institutionen wurzeln in der Vorstellung, Gefahren für die Gesellschaft würden von konspirativ agierenden Extremist*innen, an isolierten Enden der Gesellschaft ausgehen. Diese Konzeption hat sich als grundfalsch erwiesen. Zudem neigen Geheim­dienste in Struktur und Arbeitsweise zu autoritärem Denken, weshalb sie Gefahren nur links ihres eigenen Standpunkts beziehungsweise von „außerhalb“ eindringend erkennen können. Die fatalen Fehleinschätzungen zum NSU, die Beteiligung von V-Personen an den Morden und die mehr oder weniger direkte Unterstützung rechter Strukturen durch den VS fordern dessen Abschaffung und nicht den weiteren Ausbau der Kompetenzen.

8. Keine unbedachte Zusammenarbeit mit der Polizei
Sich nicht auf polizeiliche Informationen zu verlassen oder vermeintlich neutrale Informatio­nen an sie weiterzugeben, ist geboten um sich und andere zu schützen. Die Po­lizei verfolgt eigene politische Interessen, nutzt soziale Medien und Ermittlungsergebnisse um die eigene Agenda voranzubringen. Dieser PR-Kampagne sollten Antifaschist*innen nicht auf den Leim gehen und auch noch unbedarft Informationen beisteuern. Stattdessen sollten eigene Recherchen angestellt werden.

9. Medien: Beteiligt euch nicht an rechten Hetz-Kampagnen!
Medien haben die Aufgabe der Informations- und Meinungsweitergabe, der Kritik und Be­gleitung des öffentlichen Diskurses. Dabei rufen wir die betreffenden Akteur*innen auf, kei­nen medialen Rufmord gegen Antifaschist*innen zu ermöglichen und das eigene Handeln kritisch zu überprüfen. Dazu gehört: keine Zuarbeit für polizeiliche Ermittlungen zu leisten und den Strafverfolgungseifer in der Öffentlichkeit nicht noch weiter zu potenzieren.

10. Tief Durchatmen!

Auch wenn in den (sozialen) Medien eifrig spekuliert wird, heißt es an allererste Stelle: Tief Durchatmen! Wenn ihr euch schon äußern müsst, dann sprecht nur von euch, nicht im All­gemeinen. Kommentiert nicht alles wonach ihr gefragt werdet, sondern nur wovon ihr Ah­nung habt. Untereinander Kritik üben ist richtig, aber bitte in einem geeigneten Rahmen und nicht über die Medien.

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